Die Zukunft der Arbeit

Februar 2020 | Interview

Erik Händeler: Die Zukunft der Arbeit (Teil 1)

Herr Händeler, Sie wollen die Zukunft mit Nikolai Kondratieffs „Theorie der langen Wellen“ erklären. Worum geht es?

Die Zukunft entsteht immer dort, wo beim Arbeiten etwas knapp geworden ist. Als die englischen Unternehmer nicht mehr hinterherkamen, Bergwerke zu entwässern und Spinnmaschinen anzutreiben, haben sie den wissenschaftlichen Mitarbeiter der Uni Edinburgh, James Watt, gebeten, ihnen eine Dampfmaschine zu entwickeln – das war eine Auftragsarbeit. Als Transport der Flaschenhals war, musste die Eisenbahn gebaut werden; als die Informationsmenge mit Karteikästen nicht mehr wirtschaftlich zu überblicken war, musste der Computer entwickelt und angewendet werden.

Der Ökonom Nikolai Kondratieff (1892 – 1938) hatte 47 bis 60 Jahre lange Wirtschaftszyklen entdeckt und sie damit erklärt, dass eine grundlegende Erfindung samt Infrastruktur und neuen Kompetenzen den Wohlstand auf ein neues Niveau hebt. Krisen gibt es dann, wenn die Basisinnovation fertig investiert ist und keine Kosten mehr senkt, so dass die Wirtschaft abbremst – es liegt also nicht an den Themen, über die auf die monetäre Ebene fokussierten Ökonomen so nachdenken. Deswegen mögen die Ökonomen Kondratieff in der Regel eher nicht.

Was ist jetzt knapp?

Wenn Sie einen Unternehmer fragen, was sein größtes Problem ist, dann wird er über Personalthemen reden: Ich finde nicht die richtigen Leute, meine Leute kapieren nicht, was ich sagen will; ich habe schon wieder einen Arbeitsgerichtstermin – das sind Themen, die zeigen, dass wir beim Arbeiten mit Wissen nicht ausreichend effizient sind. Denn schlechte Konfliktkultur, Machtkämpfe und mangelnde Kommunikationsfähigkeit fressen die Produktivität auf.

Das berührt die seelischen Schichten der Menschen, deswegen geht es um seelische Gesundheit und ihrer körperlichen Entsprechung. Und die Lohnnebenkosten: Pflege, Arbeitslosigkeit, (Früh-)Rente und Krankheitsreparatur haben alle mit dem Mangel an Gesundheit zu tun, der vom Lebensstil und einer Arbeitswelt verursacht wird, in der es nicht immer gut gelingt, im Beruf gesund alt zu werden. Auch der Raubbau an der Natur stellt eine neue Knappheitsgrenze. Das sind die Zukunftsthemen.

Schlechte Konfliktkultur, Machtkämpfe und mangelnde Kommunikationsfähigkeit fressen die Produktivität auf. Klicken Sie um zu Tweeten

 

In welchem Kondratieff-Zyklus befinden wir uns aktuell und wodurch zeichnet er sich aus?

Nach Dampfmaschine, Eisenbahn, elektrischem Strom und dem Auto der Nachkriegszeit hat der Computer Ressourcen eingespart und uns produktiver gemacht: Robotersteuerung, Datenbanken, Gehaltsabrechnung, Telefonvermittlung. Das waren vor allem Arbeitsschritte, die aus strukturiertem Wissen bestehen. Manche haben etwa Industrie 4.0 oder die sogenannte Künstliche Intelligenz als das nächste große Ding propagiert. Aber die sind meiner Einschätzung nach nur die Verlängerung der schon entwickelten IT und verbessern nur den wirtschaftlichen Umgang mit strukturiertem Wissen.

Deswegen gibt es immer weniger, was mit den herkömmlichen Mitteln die Kosten senkt. Es wird weniger investiert, die Unternehmen benötigen weniger Geld, deswegen sinken die Zinsen, das freie Geld fließt an die Börsen und in die Immobilienmärkte. Deswegen steigen die Aktienkurse und Häuserpreise. Aber nicht, weil sie mehr wertvoller werden. Sondern weil es im realen Leben nichts gibt, wofür es sich lohnt, zu investieren. Das war nach dem Eisenbahnbau 1873 beim Gründerkrach so, das war nach der Elektrifizierung 1929 so, und auch jetzt gibt es dieselben Symptome des Abschwungs: Handelskriege, Suche nach Sündenböcken, Rechtspopulismus, Nullzinsen. Der fünfte Kondratieff ist zu Ende gegangen, auch wenn uns die Schwellenländer lange noch mit ihrem Wachstum weiter mitgetragen haben. Doch auch bei denen neigt sich der zusätzliche Nutzen durch mehr IT.

Überall wird momentan über Innovationen, Maker Spaces, Startups und neue Konzepte wie New Work geredet. Sind diese Entwicklungen Vorboten eines neuen Kondratieff-Zyklus oder noch Phänomene der zu Ende gehenden 5. Kondratieff-Welle?

Die Frage ist immer: Machen diese Innovationen spürbar produktiver? Als ich 1990 meine Schreibmaschine in den Keller stellte und meinen ersten PC hatte, war die Zeitersparnis und zusätzlichen Nutzen gigantisch, wenn man einen Seite nicht neu tippen musste, nur weil man einen Absatz einfügte. Wenn jetzt mein neuer Computer dreimal so schnell ist, ist meine Arbeit um null Komma null Prozent besser geworden. Die gefeierte Technik sorgt nicht für den gewünschten Aufschwung, obwohl wir so viel in sie investieren. Das ist bekannt unter dem Begriff „Produktivitätsparadoxon“.

Der Grund ist, dass der größte und wachsende Anteil der Produktivität immateriell ist, mit unscharfen Wissen: Verstehen, was der andere meint; seine Motivation und Interessen klären; Transparenz; Konflikte fair angehen, nach dem besseren Argument und dem übergeordnetem Interesse, nicht nach Ellenbogen und Eigeninteresse. Was Sie da nennen, zeigt den Bedarf an freiem Austausch. Doch produktiv ist er erst, wenn die Leute über ihre eigene Kostenstelle und Karriere hinaus den Nutzen des Ganzen verfolgen.

Die gefeierte Technik sorgt nicht für den gewünschten Aufschwung, obwohl wir so viel in sie investieren. Das ist bekannt unter dem Begriff „Produktivitätsparadoxon“. Klicken Sie um zu Tweeten

 

Welche Basisinnovationen werden Ihrer Meinung nach im Zentrum des 6. Kondratieff-Zyklus stehen und für langfristige Produktivitätszuwächse sorgen?

Leider ist das nicht so einfach wie zu der Zeit der Industrialisierung, als es eine Basisinnovation zum Anfassen gab. Produktiver Umgang mit Wissen benötigt eine Balance zwischen Eigeninteresse und einem echten Interesse am gleichberechtigten Wohlergehen der anderen, dem Respekt vor deren berechtigten Interessen. Statt einer Gruppenethik – Nationalismus, Rechtgläubigkeit, der einzelne ordnet sich dem „wir“ unter, das gegen andere kämpft, und statt einer am Eigennutz orientierter Individualethik benötigt Wohlstand eine Universalethik der Wissensarbeiter.

Gleichzeitig ist diese Haltung wohl auch das, was die seelische Kerngesundheit ausmacht. Natürlich gibt es auch Hardware-Innovationen, die Gesundheit, Umwelt und noch bessere Informationsarbeit ermöglichen. Aber ihr Gewicht sinkt im Verhältnis zu dem, was es an zusätzlichen Ressourcen durch bessere seelische Gesundheit gibt.

Welche Paradigmen bzw. traditionellen Denkweisen erweisen sich aktuell als unsere größten Fortschrittsbremsen?

Wir hatten nun 50 Jahre lang mehr Wohlstand, weil mehr Individualismus möglich war – der einzelne konnte sich selbst entfalten. Man konnte seiner Großfamilie, seinem Dorf oder Stadtviertel davon fahren und die Leute treffen, die dieselben Interessen haben. Das war kein moralisches Laster, sondern Voraussetzung dafür, dass sich die Gaben, die in jeden einzelnen gelegt sind, auch entwickeln können, selbst wenn durch zu viel Egoismus dann die Grenzen der anderen verletzt und Ressourcen destruktiv verschwendet werden.

Nun aber kommen wir an eine Grenze, an der noch mehr Individualismus nicht noch mehr Wohlstand erzeugt, sondern entwickelte und reflektierende Individuen zusammenarbeiten, über die Interessen des einzelnen hinaus. Das heißt nicht, dass nicht-individuelle Gesellschaften wie die meisten Diktaturen dieser Erde im Vorteil wären, im Gegenteil – die müssen erst einmal einen Individualismus entwickeln.

Vielen Dank für den ersten Teil unseres spannenden Interviews, Herr Händeler!

 

Über Erik Händeler:

Erik Händeler, *1969, ist als Buchautor und Zukunftsforscher vor allem Spezialist für die Kondratiefftheorie der langen Strukturzyklen. Damit bietet er einen anderen Blick auf die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Nach einem Tageszeitungsvolontariat und Tätigkeit als Stadtredakteur in Ingolstadt studierte er in München Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik. 1997 wurde er freier Wirtschaftsjournalist, um die Konsequenzen der Kondratiefftheorie in die öffentliche Debatte zu bekommen. 2010 zeichnete ihn die russische Akademie der Wissenschaften mit der Bronze-Medaille für wirtschaftswissenschaftliches Arbeiten aus.

Bücher: „Die Geschichte der Zukunft – Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen“ in 11. Auflage 2018, „Kondratieffs Gedankenwelt“ in 7. Auflage, sowie das Hörbuch „Der Wohlstand kommt in langen Wellen“, „Himmel 4.0“ in 2. Auflage.

 

 


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