Die Zukunft der Arbeit

März 2020 | Interview

Erik Händeler: Die Zukunft der Arbeit (Teil 2)

Welche Kompetenzen werden in Zukunft besonders stark (nach)gefragt sein?

Drei mittelmäßige Leute, die gut zusammenarbeiten, sind bedeutend produktiver als der Supercrack, bei dem es nicht gelingt, die Ergebnisse der Arbeitsteilung zusammenzuführen. Also sind alle Kompetenzen wichtig, die Zusammenarbeit betreffen: Emotionen spüren, in Worte fassen, reflektieren und mitteilen können; sich über seine Motivation klar werden; ehrlich sein, damit das Problem transparent angegangen werden kann. Statt der persönlichen Beziehung oder der Machtfrage muss bei Konflikten zuerst die Sachfrage kommen – meist ist es heute noch umgekehrt. Alle anderen Kompetenzen, die wir hatten, sind nicht weniger wert – es kommen nur neue hinzu, um sie besser zu verbinden.

Was raten Sie Menschen und Unternehmen?

Orientiert euch am langfristigen Nutzen, nicht an kurzfristigen Erfolgszahlen. Denn nur mit einem guten Netz an Zulieferern, Kunden und Mitarbeitern wächst die Substanz, die die Leistungsfähigkeit und das Überleben sichert. Versucht, je nach Kraft und Gaben, die Probleme um euch herum zu lösen, nicht nur eure eigenen. Das bedeutet, konfliktbeladen mit anderen darum zu ringen, was das Beste für alle ist. Produktiv ist, um Themen und nicht um Personen oder deren Status zu streiten.

Drei mittelmäßige Leute, die gut zusammenarbeiten, sind bedeutend produktiver als der Supercrack. Share on X

 

Sie betonen immer wieder, dass es in Zukunft vor allem auch um eine neue Streitkultur gehen wird. Wie meinen Sie das?

Menschen haben unterschiedliche Wahrnehmungen der Wirklichkeit. Sie ist meist gefiltert nach eigenen Wünschen und Interessen. Wer Investitionen in Millionenhöhe nicht in den Sand setzen will, der benötigt eine möglichst realistische Sicht auf die Wirklichkeit. Dafür müssen wir unsere Wahrnehmung mit anderen abgleichen. Da wir unterschiedliche Kompetenzen haben, bewerten wir Fakten unterschiedlich. Außerdem haben wir unterschiedliche Ziele. Der Finanzchef will mit seiner Bilanz gut aussehen und rückt kein Geld raus, der Entwicklungschef möchte möglichst viel Geld für seine Spielereien haben; Sie streiten nicht, weil sie böse Menschen sind, sondern weil es berechtigte Interessensgegensätze gibt. Die Welt ist zu komplex, als dass sie der Einzelne noch überblicken, verstehen und gestalten könnte. Wir haben immer nur über die technische Entwicklung geredet, aber nicht darüber, welche neuen Anforderungen die heutige Wissensarbeit mit sich bringt.

Produktive Zusammenarbeit ist ohne Konflikte nicht zu haben. Wer Konflikte unterdrückt – sei es mit Gewalt oder sozialen Konsequenzen, etwa dass jemand, der kritisiert, mittags plötzlich alleine dasitzt – der verbessert sich und sein Unternehmen nicht. Es gibt wohl kaum Schlimmeres, als nicht zu streiten. In vielen Systemen wird vor allem deshalb nicht gestritten, weil es nur destruktiv und verletzend stattfindet. Das Wort „Streitkultur“ schreckt viele ab. Ich versuche es daher mit „Konfliktkultur“ zu umschreiben, aber der Kern ist klar: Nur mit einer besseren Kultur, die es erlaubt, unangenehme, kritische und divergente Themen anzugehen, werden wir in der Wissensarbeit produktiver sein. Nur dann gibt es genug Ressourcen für eine stabile Gesellschaft und ausreichende Arbeitsplätze.

In Ihren Büchern schreiben Sie auch, dass die Religion in Zukunft wieder eine wichtigere Rolle für die Zusammenarbeit spielen wird. Warum?

Zunächst einmal geht es ganz neutral um Weltanschauung, um die Frage, welche Geschichte ich mir erzähle, die meine Werte und meine Lebensziele erklärt. Denn der Wohlstand hängt von der Kooperationsfähigkeit der Wissensarbeiter ab, vom Sozialverhalten. Selbst in säkularisierten Gesellschaften sind die vorherrschenden Wertvorstellungen von den religiösen Wurzeln geprägt. Wenn diese den einzelnen an der Entfaltung hindern oder ihn dazu auffordern, gegen andere zu kämpfen, dann behindert das den Wohlstand. Es gibt aber auch die universalethische religiöse Haltung, bei der man sich selbst reflektiert und auch die Position des anderen oder des Ganzen sieht, z.B. „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ oder Kants Kategorischen Imperativ als säkulare Entsprechung. 

Geld, Maschinen, Wissen – das ist weltweit austauschbar. Der einzige entscheidende Wettbewerbsfaktor ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, die von kulturellen Wertvorstellungen geprägt ist. Gleichzeit sind alle Religionen, Werte und Weltanschauungen weltweit vertreten. Es kommt zu einem Wettbewerb der Religionen, Spiritualitäten und Weltanschauungen. Es geht um die Frage, wer im Berufsleben eine bessere Kooperationsfähigkeit herstellen kann. Ich persönlich halte gerade das Christentum in seiner kooperativen Form für besonders zukunftsfähig.

Wenn es uns gelingt, produktiver mit unscharfem Wissen zwischen Menschen umzugehen, werden wir eine stabile Weltwirtschaft und Politik erreichen. Share on X

 

Ihr bislang erfolgreichstes Buch heißt „Die Geschichte der Zukunft“. Warum ist es so wichtig, dass wir uns bei wirtschaftlichen Entwicklungen nicht nur mit der Zukunft, sondern auch mit der Vergangenheit beschäftigen?

Weil dann klar wird, dass Technik, Wohlstand oder Kultur nicht nebeneinander stehen, sondern einander beeinflussen. Das Elend der Ökonomen ist, dass sie zu sehr auf die monetäre Schmalspur reduziert sind und diese Tatsache ignorieren. Aus der Kondratiefftheorie ergibt sich eine völlig andere Wirtschaftspolitik: vorrangig knappe Produktionsfaktoren effizienter machen statt die Geldmenge zu erhöhen, Zinsen zu senken oder Staatsausgaben zu verändern. Der Blick auf die Vergangenheit hilft, die aktuelle Situation zu verstehen.

Welche Parallelen sehen Sie aktuell zwischen den 1920ern des vergangenen Jahrhunderts und den 2020ern?

Zinsen bei Null, Stagnation, deswegen geschlossene Handelsgrenzen samt Handelskriegen, Suche nach Sündenböcken und Rechtspopulismus. All das hat es immer gegeben, wenn ein neues technologisches Netz weitgehend fertig investiert war, wie ich ja eingangs schon sagte. Es muss aber nicht zu langen Wirtschaftskrisen kommen, wenn es gelingt, die nächste anstehende Knappheit durch höhere Effizienz zu lösen. Wenn es uns jetzt gelingt, produktiver mit unscharfem Wissen zwischen Menschen umzugehen und die Zusammenarbeit zu verbessern, werden wir eine stabile Weltwirtschaft und Politik erreichen.

Besten Dank für unser Gespräch, Herr Händeler!

 

Über Erik Händeler:

Erik Händeler, *1969, ist als Buchautor und Zukunftsforscher vor allem Spezialist für die Kondratiefftheorie der langen Strukturzyklen. Damit bietet er einen anderen Blick auf die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Nach einem Tageszeitungsvolontariat und Tätigkeit als Stadtredakteur in Ingolstadt studierte er in München Volkswirtschaft und Wirtschaftspolitik. 1997 wurde er freier Wirtschaftsjournalist, um die Konsequenzen der Kondratiefftheorie in die öffentliche Debatte zu bekommen. 2010 zeichnete ihn die russische Akademie der Wissenschaften mit der Bronze-Medaille für wirtschaftswissenschaftliches Arbeiten aus. Bücher: „Die Geschichte der Zukunft – Sozialverhalten heute und der Wohlstand von morgen“ in 11. Auflage 2018, „Kondratieffs Gedankenwelt“ in 7. Auflage, sowie das Hörbuch „Der Wohlstand kommt in langen Wellen“, „Himmel 4.0“ in 2. Auflage.

 


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