Leonardo da Vinci Forum: Interview mit Dr. Frank Vohle zum Thema Analogien. Zu sehen ist ein Portraitfoto von Dr. Frank Vohle und das Zitat "Wer sich für das Denken, Fühlen und Handeln interessiert, kommt an Analogien nicht vorbei."

September 2021 | Interview

Frank Vohle: Analogien entdecken und nutzen

Frank, dein Unternehmen heißt „Ghostthinker“. Welche Geschichte steckt dahinter?

Im Jahr 2000 habe ich meine Frau kennengelernt. Wir arbeiteten beide als freie Mitarbeiter bei Siemens im neu gegründeten Unternehmensreferat Wissensmanagement, einer Art Think Tank für die Themen Wissen und Lernen in Organisationen. Dort sprachen wir mit Kollegen:innen über Ideen, schrieben Texte, teilten unser Wissen, ohne auf die Urheberschaft zu bestehen. Und wir sahen, dass manche Ideen aufgegriffen wurden, gerade weil wir nicht sagten: „Ich hab‘s erfunden!“. Aus dieser Erfahrung und mentalen Haltung heraus, wurde im Jahr 2005 „Ghostthinker“ geboren.

Ihr habt euch schon seit vielen Jahren dem digitalen Lernen verschrieben. Wo stehen wir heute in Deutschland bei diesem Thema?

Ja, es geht uns um digitales Lernen, aber nicht zum Selbstzweck, sondern im Dienst der Bildung: als Dreiklang von Persönlichkeitsentwicklung, Berufsqualifizierung und gesellschaftlicher Beteiligung. Zu diesen Zwecken können digitale Medien und das Internet als „Mitmach-Web“ viel beisteuern. Möglichkeiten der Vernetzung und Reflexion, eigene Beiträge („User Generated Content“) usw. In Deutschland sind wir hier unterschiedlich weit. Corona hat die Misere in den Schulen aufgezeigt. Die Hochschulen kamen hingegen ganz gut weg. Das lag aber vor allem daran, dass Hochschullehre nicht selten auf „Vermittlung“ via ZOOM reduziert wurde. In der Berufsbildung und Ehrenamtsqualifizierung werden die Möglichkeiten des aktiven, selbstgesteuerten und projektorientierten Lernens mit digitalen Medien schon seit einer Weile entdeckt. In allen Kontexten dürften jedoch bisherige Ausbildungsroutinen und Haltungen zum Lehren und Lernen herausgefordert werden.

Ihr arbeitet u.a. mit einer selbst entwickelten Lösung, die sich „Social Video“ nennt. Was ist das Besondere an dieser Lösung?

Bei Social Video ist der Name Programm: Es geht um Videos und darum, soziale Interaktion in und mit dem Video anzustoßen. Heute haben alle über das eigene Smartphone jederzeit und überall die Möglichkeit, Videos zu machen. Phänomene, Probleme, Situationen – auch in Bildungskontexten – können videografiert werden. Mit einer geeigneten Plattform lassen sich diese Videos unmittelbar für andere online zugänglich machen. Mithilfe geeigneter Werkzeuge kann man die Videos dann kommentieren und mit Anmerkungen versehen – zu zweit, in kleinen Gruppen und größeren Gemeinschaften. Dadurch werden Videos „social“: Social Video ist eine niederschwellige und leistungsstarke Methode, um Verständigungsprozesse zwischen Menschen zu organisieren ohne sich von synchronen Meetings abhängig zu machen.

Das Potenzial einer Idee zeigt sich darin, wie gut sie Überraschungen und Widerstände in sich aufnimmt und eine passende Antwort findet. Klicken Sie um zu Tweeten

 

Wie beurteilst du, ob eine eurer Ideen Potenzial hat oder nicht?

Als wir mit Social Video anfingen, haben wir Prototypen auf dem Papier entworfen und mit erfahrenen Praktiker:innen und Wissenschaftler:innen mental durchgespielt. Man merkt bei dieser Form der Zusammenarbeit, wie leistungsstark unsere Köpfe sind, indem sie Zukunft „spielerisch“ imaginieren. So entstand ein erster „Trampelpfad“, ein Funktionstest zum Zusammenspiel aus Technik, Didaktik und organisationalen Bedingungen. Ein solcher mentaler Funktionstest reicht natürlich nicht aus. Die Realität überrascht einen immer wieder und das Potenzial einer Idee zeigt sich auch darin, wie gut sie diese Überraschungen und Widerstände in sich aufnimmt, d.h. eine passende Antwort findet.

Du hast dich zu Beginn deiner beruflichen Laufbahn wissenschaftlich mit dem Thema „Analogien“ auseinandergesetzt, die gerade im Innovationsprozess eine herausragende Rolle spielen …

„Analogien sind der Kern des Denkens“, so der berühmte Kognitionsforscher Douglas R. Hofstadter. Wer sich für das Denken, Fühlen und Handeln interessiert, kommt an Analogien nicht vorbei. Wichtig ist dabei, dass man Analogien nicht nur auf die symmetrischen Verhältnisbeschreibungen nach Aristoteles „a:b ist wie c:d“ reduziert (z. B. der Motor {a} im Auto {b} ist analog zur Flosse {c} beim Fisch {d} – beide sorgen für den Antrieb), sondern den assoziativen Raum von visuellen, strukturellen, funktionalen und begrifflichen Ähnlichkeitsbeziehungen mitdenkt. Wer sein eigenes Denken nach Ähnlichkeiten durchforstet, wird reichhaltige Verknüpfungen finden, was großen Spaß macht. Aber: Es handelt sich immer „nur“ um Ähnlichkeiten, um konstruierte Beziehungen. Diese sagen nicht zwingend etwas darüber aus, ob die Dinge auch tatsächlich miteinander zu tun haben.

Analogien sind ein wunderbares Instrument, um das Denken zu beobachten, flexibel zu halten und mit anderen Menschen in Austausch zu treten. Klicken Sie um zu Tweeten

 

Was fasziniert dich an diesem Thema?

Analogien sind ein wunderbares Instrument, um das eigene Denken zu beobachten, flexibel zu halten und mit anderen Menschen in einen anregenden Austausch zu treten. Anregend auch deshalb, weil der Einsatz von Analogien nicht immer nur auf Komplexitätsreduktion und Vereinfachung abstellt, sondern auch eine Komplexitätssteigerung bewirkt, indem Dinge verbunden werden, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat.

Wie können wir Analogien in unserem Privat- und Berufsleben sinnvoll nutzen?

Analogien können das Privat- und Berufsleben sehr bereichern, z.B. durch einen überraschenden und witzigen Vergleich, über den man auch in emotional angespannten Situationen gemeinsam lachen kann. In Verbindung mit Metaphern (z.B. „Kopf der Familie“), der kleinen Schwester der Analogie, helfen sie bei der gegenseitigen Verständigung und bilden Brücken – auch dort, wo Fachsprachen oder akademische Denkstile eine Verbindung verhindern. Und sie dürfen natürlich auch dort nicht fehlen, wo systematisch und grundlegend über Neues nachgedacht wird: in Forschungsinstituten von Hochschulen, in Non-Governmental Organisations (NGOs) oder in Innovationsabteilungen von Unternehmen .

Du weißt, dass ich ein großer Bewunderer Leonardo da Vincis bin. Gibt es eine Persönlichkeit, die dich nachhaltig beeinflusst hat?

Wenn ich mir meinen Weblog der letzten 15 Jahre so anschaue, dann spielt Sven Güldenpfennig eine wichtige Rolle. Sven ist kein Leonardo da Vinci. Er ist Sport- und Kulturwissenschaftler, der die Idee des Sports – der schönsten Nebensache der Welt – mit Hilfe der Sozialphilosophie und Kunsttheorie neuartig, kreativ und mutig in 13 dicken Büchern gegen den Mainstream ausgeleuchtet hat. „Neuartig, kreativ und mutig“, also für mich ein Leonardo auf dem Feld des Sports, weil für ihn die Sache und wirklich nur die Sache zählt.

Bitte vervollständige diese drei Sätze …

1. Meine letzte Weiterbildung befasste sich mit dem Thema
Zukunft oder besser: wird sich damit befassen, denn ich habe sie gestern erst gebucht.

2. Lernen funktioniert am besten
in einer angstfreien Umgebung. Dort, wo wir mit uns selbst und unserer Umwelt spielen.

3. Digitale Transformation bedeutet für mich
… jetzt vor allen danach zu fragen, was wir in der analogen Präsenz in Zukunft wirklich, wirklich anders machen wollen.

 

Über Dr. Frank Vohle:

Frank Vohle ist Gründer der Ghostthinker GmbH, einem EdTec-Unternehmen, das Organisationen (u.a. im Sportbereich) bei der Digitalisierung der Bildungs- und Wissensarbeit mit dem Methodenschwerpunkt „Social Video“ unterstützt. Studium der Sportwissenschaft, Pädagogik und Wirtschaft in Köln, Promotion über ein medienbasiertes „Analogietraining“ an der Universität Augsburg in Kooperation mit dem CKM, Siemens, München.

 


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